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26.Oktober 2016, Allgemein
Das Geschäft mit den Talenten (Teil 2)

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»Jeder spielt mit dem Traum, Profi zu werden«, sagt Solmaz. »Das ist die Grundmotivation fast aller, die hier spielen.« In der U17 der TSG sagten 19 von 20 Spielern, dass sie noch Profi werden wollen.

»Auch wenn ich manchen eigentlich sagen müsste, dass es nicht reichen wird, lasse ich ihnen die Hoffnung.« Solmaz betont gerne, dass die Berater im System gefangen sind, wenn es um die Höhe der Provision geht. »Treffen sie dann die richtige Entscheidung für die Spieler?« Er selbst aber ist genauso im System »gefangen« – er lebt von der Talentförderung Mittelhessen. Die TSG rekrutiert selbst, hat Akteure aus ganz Hessen im Kader. Und zieht somit die talentiertesten Spieler aus der Region ab. Für die kleineren Vereine nicht einfach. Stellvertretend sagt Rolf Weiß, Jugendleiter vom TSV Klein-Linden: »Die Talentförderung sehe ich positiv. Aber es ist schon frustrierend, wenn sie im Verein endlich mal einen haben, der herausragt, an dem sich die Mannschaft orientieren kann und dann bekommen sie ihn sofort weggenommen.«

Auch vom VfB 1900 Gießen wechseln Spieler zur TSG Wieseck. Die finanziellen Möglichkeiten beider Vereine bewegen sich im Jugendbereich auf ähnlichem Niveau, die TSG ist nicht nur von der Infrastruktur her aber führend. Vier Spieler wechselten vom VfB 1900 Gießen in diesem Sommer in ein NLZ. »Das sind weniger als in Wieseck, weil wir keine Kooperation mit einem Profiverein haben«, sagt Jugendleiter Harry Pfeiffer.Diese Kooperation bringt Wieseck als Vermittlungsstation zwar einen guten Ruf, aber kaum Geld. »Wenn ein Jugendspieler einen Ausbildungsvertrag bekommt, erhält der auszubildende Verein rechtlich gesehen keinen Cent«, erklärt Solmaz. »Da bildest du Spieler jahrelang aus, musst die Stelle neu besetzen und bekommst häufig kein Geld.« Erst beim Profivertrag partizipiert Wieseck.

Einer, der den Sprung in das NLZ geschafft hat und den typischen Wiesecker Weg gegangen ist, heißt David Siebert. Der 15-jährige Gießener trainierte jahrelang nebenbei in Frankfurt mit, spielte aber für Wieseck. Vor zwei Jahren sagte er der Eintracht am Telefon ab, weil er lieber weiter mit seinen Kumpels Fußball spielen wollte. Ein Jahr später folgte dann der Wechsel. »Es war sicherlich sinnvoll, zu dieser Zeit nach Frankfurt zu wechseln«, sagt sein Vater Carsten. Er versucht, das gesteigerte Interesse an seinem Sohn zu filtern. »Wir verzichten auch auf einen Berater und machen das alles noch selbst mit gesundem Menschenverstand.« Mittlerweile hat er die Telefonnummern von über 20 Beratern und Scouts, die bei ihm zu Hause angerufen haben. Viermal in der Woche fährt David Siebert zum Training, geht noch auf die Ostschule. Der 15-Jährige stand schon im Aufgebot der U16-Nationalmannschaft, er ist einer, der im Fokus steht. Sein Vater ist Arzt, seine Mutter Sozialpädagogin – beide versuchen, gelassen mit dem Thema umzugehen. »David weiß, dass ich als Puffer dazwischen bin.« Jeder Beteiligte in diesem Geschäft betont, wie wichtig Einstellung und Erwartungshaltung der Eltern sind. »Je aufgeregter die Eltern, desto unwahrscheinlicher ist es, dass der Spieler nach oben kommt«, meint Solmaz.

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In der Regel gilt: Bis zur U15 sollte der Sprung zum Profiverein absolviert sein, danach kommt der von Solmaz bezeichnete »Zweitmarkt«, in der U17 gebe es nur noch »wenige Spätzünder. Danach ist es im Grunde vorbei mit dem Profibereich.« Trotz dieser Gewissheit sagt Solmaz am Elternabend Jahr für Jahr den gleichen Satz: »Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Eltern ziehen ständig. Die Entwicklung braucht Zeit.«

Um Eltern für einen Wechsel in ein NLZ zu begeistern, haben die Profivereine viele Mittel. Mainz 05 bietet von Gießen aus täglich einen Neun-Mann-Bus, der die Spieler zum Training nach Rheinland-Pfalz fährt. »In Hoffenheim fahren nach dem Training sechs, sieben Busse weg«, sagt Peter Gänßler. »Das ist alles im Paket drin.« Es gibt Bundesligavereine, die mit ihrer Jugendmannschaft nach Katar, Dallas oder Dubai fliegen. »Im Kampf um die Besten, wollen sie ihnen was bieten – das ist wie eine Frau, die sich hübsch macht für den Markt«, sagt Solmaz. »Was das mit der Psyche eines Spielers macht, wenn er mit 14 Jahren nach Katar fliegt, dann aussortiert wird und in Wieseck wieder gegen Bad Hersfeld spielt, ist die andere Frage.« Auch Jugendliche sollen mittlerweile stattliche Gehälter kassieren, tausende Euro sollen bei großen Talenten reihenweise gezahlt werden.

Der Weg in die Bundesliga führt über ein NLZ – aber selbst wenn man dort angelangt ist, ist die Wahrscheinlichkeit, es zum Profi zu schaffen, gering. Legt man die letzten drei A-Jugend-Jahre zugrunde, schafften folgende Spieler von Eintracht Frankfurt den Sprung zu einem Profiverein: Nico Rinderknecht (Ingolstadt), Luca Waldschmidt (Hamburger SV), Enis Bunjaki, Marc Stendera, Joel Gerezgiher (alle Eintracht Frankfurt) und Marc-Oliver Kempf (Freiburg). In der aktuellen Saison lief noch kein einziger Akteur bei den Frankfurtern auf, der in der Jugend bei der Eintracht spielte.

Es ist ein System, das vor allem vom Traum Bundesligaprofi lebt. Ein System, das sich verselbstständigt hat und zum Geschäft geworden ist, in dem es, wie Marco Vollhardt feststellt,

»Letztendlich nur noch ums Geld geht. Der Mensch steht nicht mehr im Vordergrund.«

Quelle: Giessener Allgemeine Zeitung
vom 15.10.2016